2. Februar 2024 Ι Schadstoffe aus Düngemitteln sind der Grund für zu hohe Nitratwerte im Grundwasser. Der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger hat bei einer Kundgebung im oberpfälzischen Cham ertrunkene Ratten als Verursacher der erhöhten Nitratwerte genannt.
Zu viel Nitrat im Grundwasser ist schädlich für Menschen und Umwelt. Neulich hat der bayerische Wirtschaftsminister, Hubert Aiwanger, der Menge auf einer Kundgebung gegen die Berliner Ampel im oberpfälzischen Cham zugerufen, keiner könne wissen, ob nicht “ein paar dasuffene Ratzn” – einige ertrunkene Ratten also – der Grund seien, wenn eine Grundwassermessstelle einen zu hohen Nitratwert anzeigt, statt der Gülle, die die Landwirte in der betroffenen Region ausbringen. Der Süddeutschen Zeitung zufolge bekam Aiwanger dafür tosenden Applaus. Anschließend erhielt er wohl Applaus für seine Forderung, dass “wir da eine Änderung herbeiführen müssen”, weil “wir in der falschen Richtung unterwegs sind”. Dazu muss man wissen, dass um eine Messstelle, die einen zu hohen Nitratwert im Grundwasser anzeigt, ein sogenanntes rotes Gebiet ausgewiesen werden muss, in dem die Bauern strikte Vorgaben fürs Düngen – von dem der Schadstoff tatsächlich stammt – akzeptieren müssen.
Rote Gebiete und Musterklagen in Bayern
Am Donnerstag, 25.1., hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in München über die roten Gebiete in Bayern verhandelt. Es sind 66 Verfahren von mehr als tausend Bauern anhängig. Sie alle greifen die “Verordnung über besondere Anforderungen an die Düngung und Erleichterungen bei der Düngung” an, in der die roten Gebiete definiert sind. Bis in den Februar sollen laut einem VGH-Sprecher vier Musterklagen behandelt werden. Danach fallen die Urteile. Sie sollen den übrigen Klägern die Möglichkeit geben, zu entscheiden, ob sie auf der Fortsetzung ihrer Verfahren beharren oder sie zurückziehen. Vor zwei Jahren hatte der VGH schon in einem Eilverfahren erklärt, dass er die AVDüV für “voraussichtlich rechtmäßig” hält.
Nitrat im Grundwasser darf den Grenzwert nicht überschreiten
Die Ausweisung der roten Gebiete war eigentlich ein gewaltiger Fortschritt für die Bevölkerung in Bayern, die Kommunen und die Wasserversorger. Denn das Trinkwasser im Freistaat stammt zu 85 % aus Grundwasser. Die roten Gebiete darf man durchaus als Meilenstein für die langfristige Sicherung der hohen Grundwasserqualität und damit des Trinkwassers in Bayern ansehen. Seit vielen Jahren sind die Vorräte nämlich in einer ganzen Reihe von Regionen mit Nitrat belastet. Das ist ein Schadstoff aus der Gülle und dem vielen Kunstdünger aus der Landwirtschaft.
Ist zu viel Nitrat im Grundwasser, taugt es nicht mehr als Trinkwasser. Nitrat steht im Verdacht, in hoher Konzentration Krebs zu erregen Nitrat ist einerseits wichtig für das Gedeihen der Pflanzen. Allerdings bringen die Bauern Gülle oder Kunstdünger oft in so rauen Mengen aus, dass die Pflanzen die Nährstoffe nicht zur Gänze aufnehmen können und ein großer Teil im Laufe der Zeit ins Grundwasser sickert. Vor allem in Niederbayern, Nordschwaben und Franken ist das Grundwasser bereits stark mit Nitrat belastet. In hohen Konzentrationen ist Nitrat eine Gefahr für Flora und Fauna – und für den Menschen.
Für Trinkwasser gilt deshalb seit Jahren EU-weit ein Grenzwert von 50 mg Nitrat je Liter. Er wird in Bayern inzwischen an vielen Grundwassermessstellen gerissen. Ebenso der Vorsorgewert von 37,5 mg je Liter, ab dem die Wasserversorger etwas gegen das Nitrat im Grundwasser machen müssen. Die EU-Kommission hat Deutschland und damit auch Bayern über Jahre hinweg massiv gedrängt, etwas zu unternehmen. Erst als sie mit bis zu 860 000 € Strafzahlungen am Tag drohte, lenkten Bund und Länder ein.
Was bedeuten die roten Gebiete für die Bauern?
Die Einigung mit der EU wurde möglich durch die Ausweisung eben der roten Gebiete mit scharfen Auflagen fürs Düngen. Das wichtigste: Die Bauern dürfen dort nur 80 % des Stickstoffs ausbringen, den sie als Bedarf der Nutzpflanzen auf ihren Äckern errechnet haben. Überschüssiger Stickstoff wird nämlich im Boden zu dem Nitrat umgewandelt, das das Grundwasser belastet. Außerdem müssen die Bauern in der kalten Jahreszeit längere Sperrfristen einhalten, sie müssen auf ihren Äckern Stickstoffproben nehmen und die Gülle, die sie ausbringen, auf ihren tatsächlichen Stickstoffgehalt untersuchen.
Die roten Gebiete, für die diese Vorgaben gelten, umfassen derzeit fast 550 000 ha Fläche. Das sind ungefähr 17 % des Agrarlands in Bayern. Die Methode für ihre Ausweisung war sehr komplex und ein komplizierter Mix aus Messungen und Modellierungen. Insidern zufolge ist ihr Umfang auf keinen Fall zu knapp bemessen. Zumindest soll das die bisherige Ausweitung des Messstellennetzes ergeben haben. Die Bauern in den roten Gebieten haben sich von Anbeginn an gegen die Auflagen gewehrt. Auf Demos und Versammlungen haben sie schon früh Massenklagen dagegen angekündigt. Aus ihrer Sicht sind die Düngevorschriften ein massiver Angriff auf ihr Eigentum an Grund und Boden und auf ihre Berufsfreiheit.
Obendrein befürchten sie finanzielle Einbußen, wenn sie ihren Äckern nicht mehr so hohe Erträge abringen können wie bisher. Der Bauernverband wiederum kritisiert das Messstellennetz, auf dem die Ausweisung der roten Gebiete basiert. Nach seiner Überzeugung braucht es bayernweit wenigstens 1500 Messstellen, um die Qualität des Grundwassers flächendeckend beurteilen zu können. Das aktuelle Netz umfasse aber nicht einmal tausend Messstellen. Zudem seien viele untauglich, weil sie beispielsweise lediglich für die Entwässerung von Staatsstraßen oder Drainagen gedacht seien.
Messstellen, Düngeauflagen und ertrunkene Ratten
Bauernpräsident Günther Felßner sieht deshalb vor allem Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) in der Pflicht. Glauber ist kraft Amtes für den Schutz des Grundwassers in Bayern zuständig. Felßner sagt, zwar habe Glauber immer wieder zugesichert, dass das Messstellennetz verbessert werde. Bisher sei das aber nicht passiert, zumindest nicht im zugesagten Umfang. Glauber wiederum will nicht nur das Messstellennetz ausbauen. Er fordert außerdem, dass Bauern in den roten Gebieten sogenannte Nährstoffbilanzen vorlegen. Wer nachweise, dass er auf seinen Feldern nicht mehr Dünger ausbringt, als die jeweiligen Pflanzen tatsächlich brauchen, solle von den Düngeauflagen befreit werden. Denn die Erfahrung zeigt, dass es meist nur einzelne Bauern sind, die über Bedarf düngen.
“So könnten die vielen vorbildlich arbeitenden Landwirte belohnt werden, anstatt alle Betriebe in einem roten Gebiet pauschal einzuschränken”, sagt Glauber. “Der Bund muss endlich die Voraussetzungen dafür schaffen.”
Und wie ist das mit Aiwangers “dasuffenen Ratzn” als möglichem Grund hoher Nitratwerte an einer Messstelle? Fachleute wundern sich über die Äußerungen. Als studierter Landwirt sollte Aiwanger über die Zusammenhänge Bescheid wissen. Öffentlich zurechtweisen will aber keiner den Vize-Ministerpräsidenten. Gleichwohl gilt: “Eine tote Ratte im Erdreich kann ein hygienisches Problem sein”, wie einer sagt. Aber der Nitratwert an einer Grundwassermessstelle kann dadurch nicht beeinflusst werden. “Dafür reicht das bisschen Nitrat in so einer toten Ratte nicht annähernd aus.”